Interview

„Man muss nicht alles perfekt machen“

Warum es uns so schwerfällt, unser Verhalten nachhaltig zu verändern

Klimaschutz 17.02.2022
Eine Frau packt ihre Einkäufe aus einem Jutebeutel aus.

Die meisten wissen mittlerweile einiges über Klimaschutz, Umweltschutz und darüber, was wir tun müssten, um Ressourcen zu schonen und den Klimawandel zu begrenzen. Trotzdem tun wir vieles davon nicht. Es fehlt manchmal ein bisschen Mut zur Veränderung. Im Interview mit Prof. Dr. Rüdiger Hahn und Stefanie Fella vom Henkel-Stiftungslehrstuhl für Sustainability Management der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf reden wir darüber, wie man alte Verhaltensmuster durchbrechen kann. Das komplette Interview gibt’s im Fritz for Future Podcast.

Prof. Hahn, gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, nachhaltig zu handeln und Entscheidungen bewusst zu treffen. Viele Menschen würden gerne etwas an ihrem Verhalten ändern, tun es aber nicht. Was hält uns davon ab, das zu tun, was wir eigentlich tun müssten?

Prof. Dr. Rüdiger Hahn: In der Wissenschaft bezeichnet man dieses Phänomen als "Intention-Behavior-Gap". Es handelt sich dabei um die Lücke zwischen der eigenen positiven Absicht und dem tatsächlichen Verhalten. Diese Lücke kann viele Gründe haben wie zum Beispiel eine allgemeine Bequemlichkeit, Unwissenheit oder angelernte Verhaltensweisen, die mich davon abhalten in einer bestimmten Weise zu handeln. Das betrifft aber nicht nur das Thema Nachhaltigkeit, sondern kann auf die unterschiedlichsten Lebensbereiche übertragen werden.

Stefanie Fella: Selbst wenn man, wie ich, an diesem Thema forscht, ist man nicht frei von der "Intention-Behavior-Gap". Natürlich versuche ich, nachhaltige Entscheidungen in meinem privaten Leben zu treffen, aber auch ich bin nicht perfekt. Ein wichtiger erster Schritt, um die Lücke zu überwinden, ist, das eigene Verhalten immer wieder zu hinterfragen. Zum Beispiel: Wieso konsumiere ich Fleisch? Ist es vielleicht eine reine Gewohnheit aus Kindertagen, dass ich die Salami morgens auf meinen Toast lege? Ich selbst habe dieses Problem gelöst, indem ich keinen Toast mehr frühstücke, sondern auf ein Müsli mit Obst umgestiegen bin. Somit stellt sich für mich die Frage nach der Salami nicht mehr. Eine hilfreiche Herangehensweise ist, sich bewusst zu machen, dass man nicht vom ersten Tag an alles perfekt machen muss.

Stefanie Fella, Henkel-Stiftungslehrstuhl für Sustainability Management an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

   

Ein wichtiger erster Schritt ist, das eigene Verhalten immer wieder zu hinterfragen und gleichzeitig zu wissen, dass man nicht alles perfekt machen muss.

Es ist wichtig, das Problem benennen zu können und die Ursachen zu erforschen. Sie untersuchen aber nicht nur, warum wir diese Lücken haben, sondern auch, wie wir sie schließen können.

Prof. Dr. Rüdiger Hahn: Richtig, aber von einer finalen Lösung sind wir weit entfernt. Viel eher kann man verschiedene Anhaltspunkte nennen, die bei der Überwindung der Lücke helfen können. Diese sind vielfältig, weil wiederum die Gründe ganz unterschiedlichen Ursprungs sein können. Der fehlende Glaube an sich selbst kann zum Beispiel ein Grund sein. Oder auch die Überzeugung, dass der oder die Einzelne allein nichts erreichen kann. Durch Aufklärung und Bildung kann man gegen diese Ansichten etwas bewirken. Ein weiteres Problem ist die Bequemlichkeit der Menschen. Wenn man durch neue Produkte das Leben der Menschen vereinfachen kann und sie schließlich merken, dass nachhaltige Lösungen nicht gleich Verzicht bedeuten, dann ist ein weiterer wichtiger Schritt getan.

Demnach gibt es viele verschiedene Faktoren, die bei der „Intention-Behavior-Gap" eine Rolle spielen. Wo setzt man denn am besten an?

Stefanie Fella: Ein wichtiger Faktor ist definitiv der „Spillover-Effekt“. Diesen Effekt gibt es sowohl in negativer als auch positiver Ausführung. Positiv wäre, wenn man beispielsweise anfängt mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren und daraus gleichzeitig mehrere Vorteile zieht. Man tut etwas Gutes für die Umwelt und wird gleichzeitig fitter. Solche Begleiterscheinungen motivieren mich, dieses Verhalten auch in andere Bereiche zu übertragen. Doch das Erlebnis gibt es leider auch in negativ. Wir sprechen von „Moral Licensing“, wenn man anfängt die eigenen weniger nachhaltigen Handlungen mit bereits getanen nachhaltigeren zu rechtfertigen. Zum Beispiel versucht man das Stück Fleisch zum Abendessen damit auszugleichen, dass man tagsüber mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren ist. Wir sehen, beim Spillover-Effekt geht es tatsächlich in beide Richtungen und es kommt immer darauf an, was die jeweilige Person daraus macht und was sie dabei empfindet.


Alternative Fortbewegungsmittel müssen bequem und günstig sein, damit sie genutzt werden.

Wie sieht es in Bezug auf die Industrie aus? Immer mehr junge Unternehmen streben einen Wandel in der Gesellschaft an und denken Prozesse und Produkte neu. Wie können nachhaltige Entwicklungen so umgesetzt werden, dass sie von Kund:innen angenommen werden?

Stefanie Fella: Was wir mittlerweile wissen: Nachhaltigere Unternehmen oder Geschäftsmodelle haben Erfolg, welche die gleichen Kundenbedürfnisse ansprechen und erfüllen, wie die konventionellen Modelle. Wenn das nicht der Fall ist, werden die Angebote von den Kund:innen oft nicht genutzt. Wenn ich das Ziel habe, von A nach B zu kommen und dies mit einem Sharing-Dienst bequem und günstig erreichen kann, dann habe ich eine echte Alternative zum eigenen Auto. Diese kann ich zukünftig in meine Entscheidungsfindung mit einbeziehen. Zudem sollten neue Geschäftsmodelle relativ einfach sein. Je anspruchsvoller ein neues gewünschtes Verhalten ist, desto schwieriger wird auch die Umsetzung. Für die neue Lösung muss ich im besten Fall keine Abstriche machen. Je radikaler der Umbruch, desto schwieriger ist es ihn durchzusetzen.

Prof. Dr. Rüdiger Hahn: Das Konzept der Unverpacktläden ist zum Beispiel so ein radikaler Umbruch im normalen Einkaufsverhalten. Wenn man solch einen Laden eröffnet, wird man schnell feststellen, dass dort zuerst nur Leute einkaufen, die im Bereich Nachhaltigkeit sensibilisiert sind. Das ist aber nicht die große Masse. Diese bekommt man, wenn die Änderungen normaler werden und sich in der Mitte der Gesellschaft etablieren oder die neue Lösung einfacher ist als die konventionelle. Anfangen könnte man deshalb mit einem Stand oder einer Unverpackt-Ecke in einem Supermarkt, um die Kunden und Kundinnen langsam heranzuführen. Mit diesem Vorgehen versucht man, Änderungen erstmal Stück für Stück umzusetzen, um die Menschen schrittweise an neue Lösungen heranzuführen.

Prof. Dr. Rüdiger Hahn, Henkel-Stiftungslehrstuhl für Sustainability Management an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

   

Wenn man durch neue Produkte das Leben der Menschen vereinfachen kann und sie schließlich merken, dass nachhaltige Lösungen nicht gleich Verzicht bedeuten, dann ist ein wichtiger Schritt getan.

Gewisse nachhaltige Trends wie die fleischlose Ernährung werden immer beliebter und schaffen langsam den Einzug in die gesellschaftliche Mitte. Wie groß ist das Interesse auf Unternehmensseite, solche neuen Bewegungen mitzugestalten?

Prof. Dr. Rüdiger Hahn: Gerade im Nachhaltigkeitsbereich wird viel getestet. Junge Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen stoßen zuerst in Nischen und übernehmen viel von dieser Experimentierarbeit. Oftmals werden diese Entwicklungen tatsächlich von jungen Unternehmen und Start-ups vorangetrieben. So werden auch große etablierte Unternehmen angespornt, eigene nachhaltige Ideen voranzubringen, um Vorreiter beim Thema Nachhaltigkeit zu werden. Diese Dynamiken bereichern den Markt für nachhaltige Produkte.

Stefanie Fella: Diese neuen Entwicklungen werden aber von den Generationen unterschiedlich angenommen. Die Offenheit, auch mal etwas Neues auszuprobieren, ist tendenziell in der jüngeren Generation stärker vorhanden als bei den Älteren. Neben den persönlichen Eigenschaften und Wertevorstellungen der Zielgruppen ist außerdem die Regulierung sehr relevant. Wenn die Politik bestimmte Aspekte vorantreibt, wie das Verbot der Einwegverpackungen, kann es dazu beitragen, mehr nachhaltiges Verhalten zu fördern.

Es ist also nicht gerade einfach, den Großteil der Menschen schnell von nachhaltigen Lösungen zu überzeugen. Auch wenn Start-ups und etablierte Unternehmen momentan viel vorantreiben, bleiben einige Hürden.

Prof. Dr. Rüdiger Hahn: Auf die große Masse und den Durchschnitt der Gesellschaft trifft diese Aussage erstmal zu. Deshalb ist es wichtig, gerade bei zentralen Themen wie dem Klimawandel, die Dringlichkeit der Lage deutlich zu machen. Am besten gepaart mit der Botschaft, dass man trotz der Dramatik noch etwas verändern kann. Allein das Schüren von Angst würde an dieser Stelle nichts bringen. Deshalb ist aus meiner Sicht die Kommunikation der negativen Folgen gepaart mit einem Lösungsvorschlag ein richtiger Weg.

Stefanie Fella: Umso schöner ist es, wenn man positiv inspiriert wird und nicht durch Angst den Druck verspürt, etwas verändern zu müssen. Ich liebe es zum Beispiel, mit Freunden zu kochen, die schon vegan leben und die mir zeigen, dass veganes Essen vielfältig und lecker sein kann. Das motiviert mich persönlich ungemein, mehr vegan zu kochen und mich damit weiter zu beschäftigen. Diese Verhaltensänderung kommt durch die soziale Ebene, wenn die eigenen Freunde eine Vorbildfunktion einnehmen. Wenn immer mehr Menschen in unserem persönlichen Umfeld weniger Fleisch konsumieren, bildet sich für uns so etwas wie eine neue soziale Norm, an die wir leichter unser Handeln anpassen können.

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