Interview

„Ganz auf Palmöl zu verzichten, macht keinen Sinn“

Ein Interview mit Moriz Vohrer, Geschäftsführer von Solidaridad Deutschland und Christine Schneider, zuständig für nachhaltige Produktinnovationen im Bereich Wasch- und Reinigungsmittel bei Henkel, zum Thema nachhaltiges Palmöl

Verantwortung Engagement 23.03.2021
Palm oil farmer

„Palmöl? Nein, Danke!“, denken sich mittlerweile viele besorgte Verbraucher, wenn sie durch den Supermarkt gehen. Der schlechte Ruf eilt dem tropischen Öl voraus – doch was steckt dahinter? Was bringt eigentlich der Verzicht auf Palmöl? Wie ist eine Zertifizierung für nachhaltiges Palmöl zu bewerten? Fragen, denen wir in unserem Podcast Fritz for Future auf den Grund gegangen sind. Unsere Moderatorin Janine Steeger hat mit Moriz Vohrer, Geschäftsführer von Solidaridad Deutschland und Christine Schneider, zuständig für die Nachhaltigkeit von Produktinnovationen im Bereich Wasch- und Reinigungsmittel bei Henkel, über das kontroverse Thema Palmöl gesprochen.
   

Aufgrund der großen Nachfrage sind in den vergangenen Jahren mehr und mehr Großplantagen für den Anbau von Palmöl entstanden. Vor allem die daraus resultierenden Effekte auf die Umwelt sind viel diskutierte Themen in Umweltorganisationen, Wissenschaft und Öffentlichkeit. Ist der schlechte Ruf von Palmöl wirklich gerechtfertigt?
Moriz Vohrer: Ja und nein. Palmöl hat vor allem ein schlechtes Image, da der Anbau auf großen Plantagen zur Entwaldung beigetragen sowie einen enormen Biodiversitätsverlust verursacht hat. Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen, dass wir Menschen uns in den letzten 40 bis 50 Jahren verdoppelt haben. Das heißt, wir müssen es nun schaffen, auf weniger Platz mehr von dem herzustellen, was wir zum Leben brauchen. Wenn wir auf Palmöl schauen, dann sehen wir eine Frucht, die etwa die fünffache Menge an Öl liefert, im Vergleich zu anderen Ölpflanzen wie Raps oder Sonnenblumen. Dadurch ist es grundsätzlich eine super Frucht, welche wir nutzen sollten. Natürlich müssen wir jetzt sehr darauf achten, dass es zu keiner weiteren Entwaldung kommt und Palmöl nachhaltig angebaut wird.     

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Ein Mann schneidet mit einer langen, dünnen Stange den Ast einer Palme ab. Er steht in der Mitte eines Palmenwaldes.

Die Ölpalme hat den höchsten Ertrag aller Ölpflanzen und nimmt dabei den geringsten Teil der gesamten Anbaufläche für die weltweite Öl- und Fettgewinnung ein. Sie produziert als einzige Nutzpflanze zwei verschiedene, für die Industrie interessante Öle: Palmöl und Palmkernöl.

Ein Mann führt einen Esel mit einem Karren voller Palmfrüchte über einen Weg. Auf beiden Seiten des Wegs stehen Palmen.

Die händische Ernte der Palmfrüchte schafft zahlreiche Arbeitsplätze, insbesondere in ländlichen, häufig strukturschwachen Regionen. Ein Großteil des weltweiten Palmöls wird von Kleinbauern und -bäuerinnen produziert.

Das heißt, der Verzicht auf Palmöl ist nicht immer die beste Lösung?
Moriz Vohrer: Die Palmölproduktion schafft auch viele Arbeitsplätze und ernährt dadurch viele Kleinbauern und -bäuerinnen und ihre Familien. Damit hängen viele Tausende, wenn nicht sogar Millionen von Menschen von den Einkommen aus der Palmölwirtschaft ab. Nun hat aber alles, was wir heutzutage hier konsumieren, auch Auswirkungen woanders. Palmöl ist ein Produkt, das nur in den Tropen angebaut werden kann – also oft mehrere Tausend Kilometer von uns entfernt. Dadurch spüren wir eventuell weniger Verantwortung, als wenn das Öl regional angebaut werden könnte. Die Welt ist jedoch ein Dorf geworden und wir müssen Verantwortung auch gegenüber den Menschen auf anderen Teilen der Erde tragen. Ganz auf Palmöl zu verzichten, macht daher keinen Sinn. Wichtig ist ein ökologischer und sozialverträglicher Anbau, beispielsweise mit einer Zertifizierung durch den „Roundtable on Sustainable Palmoil“ (RSPO), um so die Bedürfnisse der Menschen vor Ort gut und nachhaltig zu decken.

Moriz Vohrer, Geschäftsführer von Solidaridad Deutschland

   

Die Welt ist ein Dorf geworden und wir müssen Verantwortung auch gegenüber den Menschen auf anderen Teilen der Erde tragen.

Was ist der Unterschied zwischen Palmöl und Palmkernöl und welche Rolle spielen diese Rohstoffe in der Herstellung von Wasch- und Reinigungsmitteln, Körperpflegeprodukten und Kosmetik?
Christine Schneider: Neben den schon gerade genannten guten Eigenschaften hat Palmöl auch sehr viele Vorteile für Wasch- und Reinigungsprodukte. Wir nutzen dafür insbesondere das Öl der Kerne, welches ungefähr 10 Prozent der Ernte ausmacht. Wenn wir uns die Frucht vorstellen, sind 90 Prozent Fruchtfleisch, welches innerhalb sehr kurzer Zeit – nämlich einem Tag – in Mühlen zu Palmöl verarbeitet werden muss, da es äußerst schnell verdirbt. Die Kerne wiederum werden zunächst in einer Art „Crusher“ aufgearbeitet und bieten uns dann, nach vielen chemischen Verarbeitungsstufen, die wertvollen Inhaltstoffe für die Tenside. Tenside sind in allen Produkten enthalten, die schäumen, und dort ein fast unersetzbarer Rohstoff. Die einzige Alternative bietet das Kokosöl. Dies ist zum einen jedoch um Längen nicht so effizient und ergiebig wie das Palmkernöl, und zum anderen gibt es noch kein Zertifizierungssystem für die Plantagen. Für uns ist daher nachhaltiges Palmöl in zertifizierter Form die beste Option.   

Die Palmfrucht besteht aus ungefähr 90 Prozent Fruchtfleisch, welches schnell verdirbt und innerhalb eines Tages verarbeitet werden muss und 10 Prozent Kernanteil, welcher insbesondere für die Herstellung von Tensiden wichtig ist.
     

Was ist der RSPO (Roundtable on Sustainable Palm Oil) und warum wurde dieser in der Vergangenheit oft kritisiert?
Moriz Vohrer: Der RSPO wurde 2004 vom WWF initiiert: Hier kommen alle Akteur:innen, also die NGOs, die Unternehmen, die Wissenschaft und verschiedene andere Beteiligte, an einem Tisch zusammen. Die Herausforderung war anfangs zunächst, eine gemeinsame Sprache zu finden und gegenseitiges Verständnis zu entwickeln – die Basis, um dann Mindeststandards, soziale und ökologische Kriterien festlegen zu können. Das hat beim RSPO sieben Jahre gedauert. Sieben Jahre, bis das anfängliche Regelwerk stand. Mittlerweile liegt die dritte Version vor und viele Akteur:innen sind heute wesentlich zufriedener. Anfänglich mussten, wie gesagt, erst Kompromisse geschlossen werden, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Dieser Nenner hat sich aber über die Jahre weiterentwickelt und ist sehr viel größer geworden.

Die Partnerschaft zwischen Solidaridad und Henkel besteht nun schon seit fast zehn Jahren. Woran arbeiten beide Partner gemeinsam?
Christine Schneider: Der Beginn unserer Partnerschaft mit Solidaridad im Jahr 2012 war ein wichtiger Meilenstein für uns. Wie wir wissen werden 40 Prozent der globalen Palmölmenge von Kleinbauern und -bäuerinnen erwirtschaftet. Wenn der Zertifizierungsprozess beginnt, ist es für Kleinbauern und -bäuerinnen jedoch unmöglich, die Anforderungen direkt zu erfüllen und am System teilzunehmen. Da zertifiziertes Palmkernöl äußerst knapp ist, wollten wir Abhilfe schaffen, indem wir die Ertragsleistung von Kleinbauern und -bäuerinnen auf der bestehenden Fläche, ohne weitere Ausbreitung, steigern. Angefangen haben wir in Honduras, mittlerweile sind wir in vielen anderen Ländern Lateinamerikas, Indonesien und auch in Nigeria und Ghana aktiv. Im Jahr 2013 haben wir das Forum Nachhaltiges Palmöl (FONAP) mitgegründet, das zwar einen ähnlichen Ansatz wie der RSPO verfolgt, in seinen Forderungen aber noch deutlich weiter geht. Mittlerweile stehen auch zwei Bundesministerien als Mitglieder hinter der Arbeit des Forums. Sie können als starke Befürworter und Partner auch die politischen Aspekte abdecken.

Ziel des 2013 von Henkel mitgegründeten Forum Nachhaltiges Palmöl (FONAP) ist es, den Anteil nachhaltig erzeugten Palmöls auf dem deutschen, österreichischen und Schweizer Markt schnellstmöglich signifikant zu erhöhen und gleichzeitig existierende Standards und Zertifizierungen zu verbessern. (Foto: Christine Schneider bei einem Vortrag des FONAP in Berlin, 2019.)

Christine Schneider, zuständig für nachhaltige Produktinnovationen im Bereich Wasch- und Reinigungsmittel bei Henkel

   

Es müssen Kompromisse gefunden werden und das kann nur im Dialog passieren – Handreichungen sind dabei sehr wichtig, das habe ich von Solidaridad gelernt.

Bei wem liegt der größte Teil der Verantwortung, wenn es darum geht, den Abbau von Palmöl umweltverträglicher und sozialer zu machen?  
Christine Schneider: Da haben wir eine ganz klare Meinung: Die Unternehmen müssen ihre Ziele umsetzen und darüber berichten. Gleichzeitig liegt die Verantwortung auch bei den innerstaatlichen Beziehungen. Vorgaben müssen vor Ort kontrolliert und umgesetzt werden. Beispielsweise gibt es trotz Verbot immer noch Brandrodungen, da es nicht genügend Kontrollen gibt. Im FONAP sprechen wir daher auch mit Regierungsvertreter:innen, mit den lokalen NGOs und den Plantagenbesitzer:innen, um die individuelle Situation vor Ort zu verstehen und über eventuelle wirtschaftliche Zwänge aufgeklärt zu werden. Denn es müssen, wie Moriz sagte, Kompromisse gefunden werden und das kann nur im Dialog passieren. Handreichungen sind dabei wichtig, das habe ich von Solidaridad gelernt.


Wenn ihr wissen möchtet, was ihr selbst tun und worauf ihr am Regal achtet könnt, dann hört mal in unsere Podcast-Episode 005 rein, in der wir mit Christine Schneider und Moritz Vohrer zu diesem Thema gesprochen haben.