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Auch eine fast tausend Kilometer lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt: Im November 2018 machte sich Gábor Rakonczay auf den Weg, den mythischen Kontinent Antarktis zu entdecken – den Ort, der irgendwie jedem, aber doch wieder keinem gehört. In 44 Tagen (und vier Stunden) ging der ungarische Extremsportler im blendenden Weiß bergauf, trotzte dem flammenden Sonnenlicht und setzte seinen Weg auch bei -25 Grad Celsius fort – alles mit einem 94 Kilogramm schweren Schlitten. Nach einer Distanz von 950 Kilometern erreichte er am 7. Januar 2019 endlich sein Ziel: den Südpol. Obwohl er dabei zehn Prozent seines Körpergewichts verlor und Frostbeulen sein Gesicht zierten, war er glücklicher als je zuvor.
Im Interview erzählt er, womit er sich täglich motivieren konnte und wie es ihm gelang, dieses Abenteuer zu meistern.
Die Botschaft des Films „The First Man“ hat mich inspiriert. Der Film handelt von Neil Armstrong, der nicht nur den Mond, sondern auch die Antarktis besucht hat. Wenn man dem Film Glauben schenkt, muss er ein Mann gewesen sein, der entweder auf dem Weg gestorben wäre oder ihn zu Ende gebracht hätte – aber nichts dazwischen. Und genau das ist es, was ich auch anstrebe. Die Motivation und die Energie, die du aus einer solchen Erfahrung ziehst, lassen dich spüren, dass du jeden Tag etwas mehr erreichen kannst als geplant.
Außerdem ist es ein wunderbares Gefühl, wenn man realisiert, dass man sich in der Antarktis befindet – besonders, wenn dies die Erfüllung eines Kindheitstraums ist. Es ist nicht nur das Gebirge mit seinem tollen Panorama, sondern auch die Schönheit der Natur selbst, die sich am Polarkreis erstreckt. Am wichtigsten finde ich, dass man sich aus der zivilisierten Welt reißen und sich in extreme Situationen bringen kann. Ich hatte keine Angst, dass mir trotz des Kampfes, der bitteren Kälte oder des schweren Schlittens etwas passieren könnte, denn ich habe mir immer gesagt: „Eine Gelegenheit wie diese wird sich mir nie wieder bieten!“
Diese Tour war ein Kindheitstraum von mir. Im Alter von zehn Jahren wusste ich zwar noch nicht, dass ich die Antarktis überqueren würde, aber ich wusste schon, dass der Ort, an dem 1911 der norwegische Polarforscher Amundsen den wissenschaftlichen Forscher Scott überholte, ein fantastischer Ort sein muss. Natürlich reicht es nicht aus, nur die Geschichte eines Ortes zu bewundern, um diesen auch zu erreichen – aber die Erfüllung eines Kindheitstraums kann eine echte Motivation sein.
Der Schlüssel für meine körperliche Vorbereitung war die Durchquerung Grönland im August 2018. Dieser Trip ermöglichte mir, später die eigentliche Expedition zu genießen, da ich nicht täglich ums Überleben kämpfen musste. Ich bin zudem gejoggt – das ist die beste Vorbereitung für endloses Marschieren. Ich musste schließlich in der Lage sein, bei Bedarf bis zu 200 Kilometer zurückzulegen. Zusätzlich habe ich mich auf die Bewegung mit den Skiern durch langsames Bergauf-Joggen während des Trainings vorbereitet. Bei -20 bis -30 Grad Celsius und bei Windgeschwindigkeiten von bis zu 60 Kilometern pro Stunde sind außerdem Frostbeulen vorprogrammiert, wenn man sich nicht richtig anzieht.
Im Laufe der letzten 13 Jahre habe ich mich durch autodidaktisches Training mental gestärkt. Deshalb kann ich wohl riskieren zu sagen, dass ich das stabilste Mitglied des Teams war. Es ist wichtig, die eigene Motivation aufrecht zu erhalten und nicht zu denken: „Was zum Teufel machst du hier mitten auf dem Eisfeld?“ Wenn sowas deinen Verstand nur einmal trifft, können die fehlenden Reize in der endlosen Weite dich leicht verunsichern. Es ist wie bei einem Schiff: Sobald es ein Leck hat, wird es – wenn auch langsam – sinken.
Hier ist ein Beispiel für meine mentale Technik: Es mag rücksichtslos und grausam klingen, aber du musst während einer solchen Tour dein Leben zuhause verdrängen. Hätte ich angefangen, über meine Familie nachzudenken, wäre ich traurig geworden – und solche Gedanken bringen dich sofort aus der Bahn. Du gerätst in eine Abwärtsspirale, die die gesamte Expedition gefährden kann. Ich habe täglich dafür kämpfen müssen, dass meine Gedanken nicht entgleisen.
Seit ich ein Kind war, habe ich meine Grenzen getestet. Und es scheint, dass ich jetzt, im Alter von 38 Jahren, noch in der Lage war, diese Grenzen weiter zu erforschen. Mit 13 Jahre stellte ich mir vor, der beste Orientierungsläufer der Welt zu sein, und es kam mir nicht einmal in den Sinn, dass ich jemals etwas anderes tun würde. Ich stand oft oben auf dem Siegertreppchen. Tatsächlich so oft, dass es zur Routine wurde – mein Ziel war es dann, meine eigene Zeit noch einmal um zehn Minuten zu unterbieten. Es war also wie ein Wettbewerb mit mir selbst.
Aus diesem Grund habe ich mich dann irgendwann dem Rudern zugewandt – genauer gesagt mit dem Ziel, eine Ozeanüberquerung zu absolvieren. Ich wollte dem Schicksal trotzen und als erste Person allein mit einem Kanu über den Atlantik zu paddeln. Natürlich haben schon einige Menschen den Atlantik überquert – zum Beispiel mit dem Wasserfahrrad oder einem Kite-Drachen – aber noch nie hat es jemand mit dem Kanu versucht. Ich war damals 30 Jahre alt und es war meine erste Reise allein. Ich wollte ausprobieren, ob ich meinem Vorhaben treu bleiben kann. Auch heute ist es mir wichtig, der erste Ungar zu sein, der diese 950 Kilometer lange Reise jemals gemacht hat.
Es ist in unserer Zivilisation heutzutage fast unmöglich, wirklich allein zu sein. Da ist immer das Smartphone, dem man sich zuwenden kann. Am Südpol ist das ganz anders: Man kann völlig allein sein, mit nichts als dem kargen, schneebedeckten Eisfeld. Ich konnte die Momente viel intensiver erleben als zuvor.
Es gab einen 200 Kilometer langen Abschnitt, auf dem wir in sehr tiefem Schnee laufen mussten, was körperlich schwierig war. Außerdem war ich noch nie in einer Umgebung mit einem so vollkommenen Mangel an Reizen. Es fühlte sich an, als wären meine Gedanken immer dünner geworden. Ich hatte zwar so etwas erwartet, aber nicht in diesem Ausmaß. Als ich die Südpolbasis erblickte, fühlte ich viele verschiedene Emotionen: Es war, als hätte ein Teil von mir immer gewusst, dass ich erfolgreich ankommen werde und als ob er tief in mir nur leise lächelte. Würde ich es wieder tun, wenn obwohl ich wüsste, was mich erwartet? Natürlich würde ich das.
Dein Ziel sollte es nicht sein, so viele Expeditionen wie möglich zu unternehmen, sondern zu überleben und alt zu werden. Dann, wenn du achtzig wirst, kannst du die Geschichten über deine Reisen deinen Enkeln erzählen.
Nach 44 langen Tagen erreichte Gabor sein bisher größtes Ziel: Er war der erste Ungar, der jemals den Südpol erreichte.