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Klare Lernstrategie statt Wohlfühl-Angebot

Interview mit Inga Höltmann: Warum Lernen ein wichtiger Bestandteil des Arbeitslebens sein sollte

Digitalisierung Kultur Kultur 11.08.2020
Frau mit Stift am Whiteboard

   

Agile Methoden, digitale Transformation und Kulturwandel: Die Art, wie Menschen weltweit miteinander arbeiten, verändert sich. Ganze Berufsbilder befinden sich im Wandel – manche verschwinden, viele neue kommen hinzu. Eine Entwicklung, die Unternehmen und Mitarbeiter nur durch Flexibilität und Weiterbildung erfolgreich begleiten können. Ein Gespräch mit Inga Höltmann, Expertin für Neue Arbeit und Gründerin der Accelerate Academy, über erfolgreiche Lernstrategien – und wie digitale Lernformate nachhaltige Transformationsprozesse unterstützen können.

Frau Höltmann, kann man Lernen und Arbeiten heute noch getrennt betrachten?

Meine Überzeugung ist, dass man Lernen und Arbeiten nicht mehr trennen kann. Bisher galt in unserer Gesellschaft ein simples Konzept: Erst bilden wir Menschen aus – in Schule, Ausbildung und Studium. Dann gehen sie ins Berufsleben und wenden dieses Wissen an. Sogar einen Begriff haben wir dafür: „ausgelernt“. Fortbildung im Beruf geschieht nur sehr punktuell: mal ein Bildungstag hier, ein Workshop dort. In der neuen Arbeitswelt wird das nicht mehr funktionieren. Denn in Zukunft brauchen wir Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten in den Unternehmen, von denen wir noch gar nicht wissen, wie sie aussehen werden. Wir bilden Schüler aus für Berufe, die es noch nicht gibt. Wie soll man ihnen das Wissen dafür mitgeben?

Das heißt: Wir müssen Lernen und Arbeiten viel enger miteinander verknüpfen, als wir es heute tun. Eine lernende Organisation entsteht, wenn die Menschen darin lernen. Für Unternehmen ist das essenziell – denn je mehr Räume sie heute für Lerngelegenheiten schaffen, desto innovativer und damit auch zukunftsfähiger werden sie morgen sein.

Inga Höltmann, Expertin für New Work und Neues Lernen, Gründerin der Accelerate Academy

Je mehr Raum Unternehmen heute für Lernen schaffen, desto innovativer werden sie morgen sein.

Reicht es, wenn Unternehmen bestimmte Lernangebote bereitstellen? Oder braucht es eine „Lernstrategie“?

Ich glaube, dass Unternehmen vor allem dann erfolgreich sind, wenn sie nicht nur Budgets oder Formate anbieten, sondern genau analysieren: Welches Wissen ist für uns relevant? Was brauchen unsere Mitarbeiter? Und dann mit ihren Mitarbeitenden in den Austausch gehen und Ideen gemeinsam weiterentwickeln. Dazu gehört auch der Umgang mit Wissen im Unternehmen. Im Moment wird Know-how oft innerhalb einzelner Abteilungen gemanagt – und ist an anderen Orten in der Organisation unter Umständen gar nicht verfügbar. Das heißt, es wird nicht nur darum gehen, die richtigen Formate zu bieten, sondern auch Wissensmanagement und Konzepte zur Informationsweitergabe werden eine viel größere Rolle spielen.

Funktioniert Lernen eher digital oder analog?

Da gibt es kein Entweder-oder. Wenn Menschen an einem Ort zusammenkommen, entsteht eine besondere Energie. Das werden wir virtuell nie ganz ersetzen können. Ich glaube nur, dass wir damit bewusster umgehen sollten. Es ist eine Methode, miteinander in den Austausch und ins Lernen zu kommen. Es ist aber zum Beispiel nicht das beste Format, um langfristige und tiefgehende Veränderungsprozesse anzustoßen. Denn dafür ist es zu punktuell! Meine Erfahrung hat gezeigt: Die meisten Workshops laufen sehr gut, die Teilnehmer verstehen sich und wir erarbeiten auch wirklich tolle Sachen miteinander. Meist hakt es dann aber an der Übertragung in den Arbeitsalltag.

Digitale Plattformen geben den Menschen die Möglichkeit, im eigenen Tempo zur eigenen Zeit zu lernen und mit unterschiedlichen Formaten zu experimentieren. Denn nicht jeder lernt gleich. Manche lernen besonders gut mit Videos, andere können sich besser auf Podcasts konzentrieren. Ich selber funktioniere gut über Text – das war eine wichtige Erkenntnis für mich. Es hängt auch vom Thema ab, welches Format das Beste ist. In unserem Privatleben sind wir daran ja schon gewöhnt: Wir lesen Bücher, googeln Informationen oder schauen Youtube-Videos. Das auf die organisationale Weiterbildung zu übertragen, ist also nur sinnvoll.

Eine ganz schöne Herausforderung für internationale Konzerne, dieses Angebot dann auch zu liefern…

Lernen muss ja nicht immer moderiert werden. Wir denken viel zu oft in standardisierten Formaten wie Workshops oder Seminaren – klar, da gehen wir hin und lernen. Aber es gibt im Alltag so viele andere Lernmöglichkeiten. Ich kann zum Beispiel mit einem Kollegen essen gehen und wir tauschen uns zu einem Thema aus. Oder ich nehme mir vor, jeden Tag einen Text zu lesen, ein Youtube-Video zu schauen oder einen Podcast zuhören. Oder das Team beschließt, zehn Minuten vom wöchentlichen Meeting für kleine Impulsvorträge zu reservieren, in denen ein Kollege oder eine Kollegin zeigt, womit er oder sie sich die letzten Tage beschäftigt hat. Es muss nicht immer der große Workshop sein – die kleinen Lerngelegenheiten sind oft sogar effektiver.

Kleine Lerngelegenheiten wie der themenbezogene Austausch mit Kollegen sind bereits förderlich.

Wenn Mitarbeiter Weiterbildungsangebote nicht nutzen heißt es oft: „Ich komme neben meiner eigentlichen Arbeit einfach nicht dazu“ – was macht ein Unternehmen in diesem Fall falsch?

Lernen darf kein Wohlfühl-Angebot sein. Es muss mit klaren Zielen verbunden sein und vorgelebt werden, insbesondere von den direkten Vorgesetzten. Klar muss der einzelne Mitarbeiter Engagement zeigen. Das Unternehmen aber hat die Verantwortung, die Rahmenbedingungen zu schaffen: Wenn Mitarbeiter zwei Stunden in der Woche lernen sollen, müssen andere Aufgaben reduziert werden.

Inga Höltmann, Expertin für New Work und Neues Lernen, Gründerin der Accelerate Academy

Lernen muss mit klaren Zielen verbunden sein und das Unternehmen hat die Verantwortung, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.

Ganz oft ist es auch einfach Gewöhnung. Wir müssen Menschen immer wieder einladen und begeistern. Das funktioniert natürlich nur, wenn die Inhalte der Plattform gut sind. Der Austausch mit den Nutzern ist also wichtig: Findet ihr, was ihr braucht? Ist die Darreichungsform die richtige? Kriegt ihr das in eurem Arbeitsalltag unter?

Wie sieht die Zukunft des digitalen Lernens aus?

Ich bin gespannt, wie Virtual und Augmented Reality das Lernen verändern werden. Ich plane gerade eine virtuelle Konferenz, bei der man in einen Avatar schlüpft und sich durch ein virtuelles Konferenzhaus mit verschiedenen Räumen bewegen kann: ein Vortragssaal, kleine Räume für Break-Out-Sessions, ein Networking-Forum – eben alles, was man auf einer analogen Konferenz auch findet. Das wollen wir jetzt testen. Die Schritte dürfen aber nicht zu groß sein, sonst sind die Berührungsängste zu hoch. Gerade in solch neuartige Technologien müssen Nutzer erst reinwachsen. Es ist gut, die mitzunehmen, die Lust darauf haben – aber man darf die anderen nicht verlieren.

Hat Corona dieser Bereitschaft Neues auszuprobieren einen Schub gegeben?

Definitiv. Menschen und Unternehmen sind gezwungenermaßen viel offener für neue Lösungen. In den vergangenen Monaten gab es so viele unterschiedliche Angebote. Das wird sich mittelfristig wieder normalisieren – und das ist auch richtig so. Mein Eindruck ist aber, dass durch die Notwendigkeit, Dinge plötzlich virtuell zu machen, die Hemmschwelle gesunken ist – auch wenn es teils sehr holprig abgelaufen ist. Wenn wir diese Offenheit mit in die „neue Normalität“ nehmen, haben wir schon viel gewonnen. Genauso wichtig ist aber, nicht einfach weiterzumachen, sondern zu evaluieren: Was haben wir aus dieser Zeit gelernt? Was hat gut funktioniert – was nicht? Und wie wollen wir jetzt, wo wir langsam zurück in die Büros kehren, miteinander arbeiten? Wenn Unternehmen das tun, ist das eine große Chance, sich weiterzuentwickeln.